Das interessante Urteil: Personalgespräch während einer Arbeitsunfähigkeit
BAG Urteil vom 02.11.2016, 10 AZR 596/15
Der Sachverhalt:
Der Arbeitnehmer war beim Arbeitgeber zunächst als Krankenpfleger und zuletzt - nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit - befristet bis zum 31. Dezember 2013 als medizinischer Dokumentationsassistent eingesetzt. Von Ende November 2013 bis Mitte Februar 2014 war er erneut arbeitsunfähig krank.
Der Arbeitgeber lud ihn mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ zu einem Personalgespräch am 6. Januar 2014 ein. Der Arbeitnehmer sagte unter Hinweis auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit ab. Der Arbeitgeber übersandte ihm eine neuerliche Einladung für den 11. Februar 2014, die mit dem Hinweis verbunden war, der Arbeitnehmer habe gesundheitliche Hinderungsgründe durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen. Auch an diesem Termin nahm der Arbeitnehmer unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nicht teil. Daraufhin mahnte ihn der Arbeitgeber mit Schreiben vom 18. Februar 2014 ab.
Der Arbeitnehmer klagte auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Er ist der Auffassung, dass er während der Arbeitsunfähigkeit nicht zu einem Personalgespräch in der Firma erscheinen muss.
Die Entscheidung:
Der Arbeitnehmer hatte in allen drei Instanzen mit seiner Klage Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, regelmäßig nicht verpflichtet ist, auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, um dort an einem Gespräch zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit teilzunehmen.
Aber es gibt auch Ausnahmen:
Während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist es dem Arbeitgeber allerdings nicht immer untersagt, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt zu treten, um mit ihm die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu erörtern. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber hierfür ein berechtigtes Interesse aufzeigt. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, hierzu auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage.
Kann der Arbeitgeber solche dringenden betrieblichen Gründe nicht nachweisen, muss der Arbeitnehmer der Anordnung des Arbeitgebers, im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, nicht nachkommen.
Die Abmahnung ist daher zu Unrecht erfolgt, weshalb der Arbeitnehmer ihre Entfernung aus der Personalakte verlangen kann.
Quelle:
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts 59/16
vollständiges Urteil vom 2. November 2016 - 10 AZR 596/15 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 17. Juli 2015 - 6 Sa 2276/14 -
Praxishinweis:
Während einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung, hat der Arbeitnehmer alles zu tun, was seiner baldigen Genesung dient. Wenn keine ausdrückliche Bettruhe verordnet ist, darf man z.B. auch spazieren gehen oder sich mit Freunden und Familie treffen.
Man muss zwar nicht persönlich im Betrieb erscheinen, wenn man krank ist, aber es ist nach wie vor möglich, dass der Arbeitgeber zuhause anruft. Dies geht aber nur dann, wenn es dringend betrieblich notwendig ist, den Arbeitnehmer zu erreichen und es muss zumutbar sein, soweit es der Gesundheitszustand erlaubt. Der Arbeitgeber sollte daher von dieser Möglichkeit sehr sparsam Gebrauch machen.
Ob diese Entscheidung auch in einem laufenden BEM-Verfahren (betriebliche Wiedereingliederung nach Arbeitsunfähigkeit) Anwendung findet, ist durch dieses Urteil nicht geklärt. Da aber die Teilnahme am BEM freiwillig ist, spricht sehr vieles dafür, dass während der Erkrankung und damit attestierter Arbeitsunfähigkeit keine BEM-Gespräche stattfinden können.