Das interessante Urteil:
Änderungskündigung wegen krankheitsbedinger Leistungsminderung

BAG, Urteil vom 22.10.2015, 2 AZR 550/14

Der Sachverhalt: 

Der beklagte Arbeitgeber betreibt eine Spielbank und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1955 geborene Arbeitnehmer und Kläger ist dort seit 1980 als Croupier tätig. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 40 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Der Gehaltstarifvertrag sieht unterschiedliche Eingruppierungen der Croupiers vor.

In der Folgezeit teilte er der Beklagten mit, er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, in stehender Position am Tisch des American Roulette zu arbeiten. Daraufhin wurde er – über Jahre hinweg – nicht bei diesem Spiel eingesetzt. In einem ärztlichen Attest vom 11.10.2010 heißt es: „O. g. Patient ist nicht in der Lage, aufgrund der anerkannten Behinderung in stehender Position am American Roulette-Tisch bis auf weiteres zu arbeiten.“ 

Am 20.12.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Integrationsamts und nach Anhörung des Betriebsrats ordentlich zum 31.7.2012. Zugleich erfolgte das Angebot, das Arbeitsverhältnis ab dem 1.8.2012 wie folgt fortzusetzen: Tätigkeit gemäß dem Aufgabengebiet der Tarifstufe Croupier III (kein Einsatz am American Roulette), Vergütung gemäß der Tarifstufe Croupier III. Die übrigen Arbeitsbedingungen sollten unverändert fortbestehen bleiben. Der Kläger nahm das Angebot unter Vorbehalt an und erhob Änderungsschutzklage. 

Die Entscheidung:

Der Arbeitnehmer hatte beim BAG Erfolg. Das BAG stellte fest, dass die Änderung der Vertragsbedingungen des Klägers durch die Kündigung sozial ungerechtfertigt sind.

Ist es dem Arbeitgeber kraft Direktionsrecht noch möglich, dem Arbeitnehmer im Rahmen seines Restleistungsvermögens andere gleichwertige Aufgaben aus einem Tätigkeitsspektrum zuzuweisen, fehlt es an einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und eine krankheitsbedingte Kündigung wegen Leistungsminderung ist ungerechtfertigt.

Ist ein Arbeitnehmer mit seinem Restleistungsvermögen voraussichtlich auf Dauer oder doch für zumindest 24 Monate nach der Kündigung nicht mehr in der Lage, überhaupt eine der charakteristischen Tätigkeiten der betreffenden Stellenbeschreibung ohne Einschränkung zu verrichten, spricht viel dafür, dass wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers dadurch erheblich beeinträchtigt sind.

Aber hier erfordert die angestrebte Änderung der Tätigkeit und Herabsetzung der Vergütung von Croupier I zu Croupier III eine Vertragsänderung, der der Arbeitnehmer zustimmen muss und kann nicht durch einfache Weisung des Arbeitgebers erfolgen.

Eine Änderung der Vertragsbedingungen kann auch durch eine krankheitsbedingte Leistungsminderung bedingt sein, wobei drei Stufen zu prüfen sind:  

  1. Negative Prognose zum voraussichtlichen Gesundheitszustand 
  2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen; eine lediglich geringfügige – qualitative oder quantitative – Minderleistung des Arbeitnehmers reicht nicht aus
  3. Interessenabwägung, ob die erheblichen Beeinträchtigungen zu einer nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Es ist zu prüfen, ob die Erkrankungen auf betrieblichen Ursachen beruhen, das Alter des Betroffenen und wie lange das Arbeitsverhältnis ungestört verlaufen ist (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 664/13, NZA 2015, S. 931).

Bezogen auf den Fall bedeutet dies:
Der Kläger war nicht in der Lage, unter den gegebenen Bedingungen im Stehen am Tisch des American Roulette zu arbeiten, seine gesundheitliche Prognose war insoweit negativ. 

Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit hat aber nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen geführt. Der Angestellte war nicht außerstande, die vertraglich festgelegte Arbeitsleistung überhaupt zu erbringen, sondern nur stehend am Roulette-Tisch. Der Arbeitgeber hat nicht dargelegt, welche konkrete, auf Dauer unzumutbare Mehrbelastung sich daraus für die übrigen Mitarbeiter – die ja für den Kläger einspringen können – ergeben soll. Ebenso wenig hat der Arbeitgeber dargetan, dass eine konkrete Störung des Betriebsfriedens eingetreten ist.

Fazit: 

  • Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung stellen hohe Hürden für eine krankheitsbedingte Kündigung auf bzw. bestätigen diese erneut.
  • Der Arbeitgeber muss Leistungsminderungen des Arbeitnehmers hinnehmen, wenn er noch Tätigkeiten zuweisen kann, auf denen sich die Leistungsminderung nicht nachteilig auswirkt. In einem Teilbereich des vereinbarten Leistungsspektrums nicht mehr einsetzbar zu sein, kann dann keine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen.
  • Erhebliche Abweichungen von der Normalleistung eines uneingeschränkt einsatzfähigen Mitarbeiters, Störungen im Betriebsablauf, der Planungs- und Organisationsfreiheit, Beschwerden von Kollegen, die die Arbeit des Leistungsgeminderten übernehmen oder von Kunden muss der Arbeitgeber konkret dokumentieren, um sie im Prozess darlegen und nachweisen zu können.

 

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